Sozialraumorientierung – ein Schlüssel zur Inklusion
Menschen mit Behinderung sind in Deutschland nach wie vor in vielen strukturellen Bereichen mit Problemen konfrontiert. Ein Inklusionsauftrag liest sich gut auf dem Papier, kann aber unter den gegebenen Rahmenbedingungen häufig nicht erfüllt werden. Das ist auch das Ergebnis einer repräsentativen forsa-Umfrage von 2020, die vom Verband Bildung und Erziehung beauftragt wurde. Aber Inklusion kann auch funktionieren. Dabei könnte schon ein Perspektivwechsel helfen.
Der Ansatz: Den inneren und äußeren Raum aufeinander abstimmen
In seinem Blog stellt der bekannte Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit Raul Krauthausen das Fachkonzept der Sozialraumorientierung vor. Dieses hat das Ziel, den inneren und äußeren Raum - also das Individuum und das Umfeld - bestmöglich aufeinander abzustimmen. Der Mensch soll nicht verändert werden, sondern die Verhältnisse um ihn herum sollten so gestaltet werden, dass sich der Mensch nach seinem Lebensentwurf entwickeln kann. Im Zentrum des von dem Sozialarbeitswissenschaftler Professor Wolfgang Hinte entwickelten Fachkonzepts der Sozialraumorientierung stehen immer die Interessen und der Wille der leistungsberechtigten Menschen. Diese können je nach Lebenswelt der betroffenen Person variieren.
Unterschied zwischen Wunsch und Wille
Krauthausen stellt in seinem Blogbeitrag die Begriffe Wille und Wunsch deutlich gegenüber. Ein Wunsch richte sich an das Gegenüber, zum Beispiel an die Fachkraft, welche diesen erfüllen soll. Die behinderte Person werde so wieder in die passive, abhängige Rolle gebracht. Äußert der Mensch mit Behinderung jedoch einen Willen, gelangt er*sie in die aktive Position, handelt planmäßig und zielstrebig. Hilfe bei der Willensbildung und Zielsetzung anzubieten sollte nach dem Konzept der Sozialraumorientierung im Fokus des Fachpersonals stehen. Vom Willen abgeleitet sollten dann die geeigneten Hilfsmittel zugewiesen werden.
"Die Frage ist also immer wieder, ob wir ernst nehmen, was die Menschen wollen, oder ob wir schon zu wissen glauben, was gut für sie ist",
gibt Professor Hinte in einem Kurzreferat zu bedenken, auf das sich Krauthausen bezieht. In den letzten Jahren habe sich in der Behindertenhilfe einiges positiv in Bezug auf die Autonomie leistungsberechtigter Menschen entwickelt. Bis heute fehle aber die systematische Erarbeitung des Willens dieser Menschen. Um eine Leistungsberechtigung zu erhalten, müsse ein Defizit festgestellt werden. „Und wer (…) bezahlt, meint auch mitbestimmen zu müssen, wie der Mensch sich zu entwickeln hat“, so Hinte.
Hilfe bei der Zielsetzung
Häufig ist es für die Adressat*innen einer Leistung nicht einfach, ihre Ziele zu erkennen und zu formulieren. „Sie präsentieren sich ziellos, vielleicht, weil sie sich verbal den Professionellen nicht gewachsen fühlen, weil sie die eigenen Ziele nicht für so ganz ‚richtig‘ halten oder auch, weil sie sich schwer tun mit inneren widersprüchlichen Impulsen, die sie ganz durcheinanderbringen“, beschreibt es Hinte aus seiner Erfahrung heraus. Hier sei es Aufgabe der sozialarbeiterischen Begleitung, den inneren Zustand zu ordnen und möglichst kleinteilig erreichbare Ziele zu formulieren. Diese dienten dann als „rote Fäden“ im Unterstützungsprozess. „Auf der Grundlage der formulierten Ziele für leistungsberechtigte Menschen braucht es einen kreativen Mix von flexiblen Personen, technischen Geräten, sozialräumlichen Ressourcen und Immobilien, damit der leistungsberechtigte Mensch bei der Erreichung seiner Ziele unterstützt wird“, fordert Professor Hinte.
Indem Menschen mit Behinderung aktiv in den Prozess des gemeinschaftlichen Lebens miteinbezogen, ihr Wille und ihre Ziele gehört werden, kann eine Gesellschaft geschaffen werden, die für alle zugänglich und inklusiv ist.
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