
Soziale Herkunft prägt Karriere: Ungleiche Chancen in Deutschland
Deutschland versteht sich gern als Leistungsgesellschaft – doch die Realität sieht anders aus. Laut dem Siebten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2024) hängt der Bildungserfolg eines Kindes hierzulande noch immer stark von der sozialen Herkunft ab. Wer aus einem bildungsnahen, finanziell abgesicherten Elternhaus stammt, hat deutlich bessere Chancen auf schulischen und beruflichen Erfolg.
Kinder aus einkommensschwachen Familien beginnen ihre Bildungsbiografie häufig mit Nachteilen – etwa durch geringere Förderung, fehlende Vorbilder und gesellschaftliche Teilhabe oder eingeschränkten Zugang zu außerschulischen Lernangeboten. Diese Unterschiede wirken bis in den Beruf fort.
Bildung als Schlüssel – aber nicht für alle gleich
Das Bildungsniveau der Eltern und das Haushaltseinkommen bestimmen in Deutschland maßgeblich den Bildungsweg der Kinder. Laut Hochschulbildungsreport 2022 beginnen nur rund 27 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus nicht-akademischen Familien ein Studium - bei Akademikerkindern sind es 79 Prozent. Der Anteil der Kinder aus Nichtakademikerhaushalten an allen Studierenden liegt bei nur 47 Prozent. An Schulen machen Nichtakademikerkinder aber 72 Prozent der Kinder aus.
Unsichtbare Karrierebarrieren
Auch nach dem Studium bleibt der Einfluss der sozialen Herkunft sichtbar. Eine Studie von der Boston Consulting Group weist auf konkrete Hindernisse hin:
- 47 Prozent der befragten Erstakademiker*innen hatten während des Studiums nicht genügend Zeit, um Praktika zu absolvieren – elf Prozentpunkte mehr als in der Vergleichsgruppe aus akademischen Familien. Wesentliche Gründe dafür könnten stärkere familiäre Verpflichtungen sein und die Notwendigkeit, neben dem Studium Geld zu verdienen.
- Nur etwa ein Drittel der Befragten gaben an, beim Berufseinstieg über wichtige Kontakte zu verfügen – gegenüber 61 Prozent bei denen mit Eltern im akademischen Milieu. Zwar verringert sich der Abstand mit zunehmender Berufserfahrung, doch er verschwindet nicht vollständig.
- Fehlende finanzielle Spielräume schränken zudem Möglichkeiten ein: kostenpflichtige Zusatzqualifikationen, längere Praktika oder Auslandsaufenthalte lassen sich schwerer realisieren.
Damit bleibt in Deutschland die Herkunft einer der stärksten Prädiktoren für Bildungserfolg – und somit auch für spätere Karrierechancen.
Erkenntnisse aus dem Siebten Armuts- und Reichtumsbericht (2024)
Die Bundesregierung erhebt alle paar Jahre mit dem Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) die Datenlage zu sozialen Ungleichheiten. Im Vorfeld des siebten Berichts waren u. a. Ergebnisse zu sozialer Mobilität und Bildungsungleichheit Gegenstand wissenschaftlicher Begleitforschung.
Der Armuts- und Reichtumsbericht 2024 der Bundesregierung zeigt klar:
- Rund 20 Prozent der Bevölkerung gelten weiterhin als armutsgefährdet.
- Besonders junge Erwachsene (18–24 Jahre) sind betroffen – genau die Altersgruppe, die am Beginn ihrer Ausbildung oder Karriere steht.
Diese Zahlen machen deutlich, dass Bildungschancen und soziale Herkunft eng verflochten bleiben. Wer aus finanziell schwachen Verhältnissen kommt, hat es schwerer, unabhängig von Leistung, Engagement oder Talent.
Das Startchancen-Programm: Ein Schritt zu mehr Chancengleichheit
Als Reaktion auf die Ergebnisse der PISA-Studie 2022, die erneut deutliche Leistungsunterschiede zwischen sozialen Gruppen zeigte, startet die Bundesregierung im Schuljahr 2024/25 das Startchancen-Programm.
Fakten im Überblick:
- Laufzeit: 10 Jahre
- Fördervolumen: 20 Milliarden Euro
- Zielgruppe bis zum Schuljahr 2026/27: rund 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozialökonomisch benachteiligter Schülerinnen und Schüler
Ziele des Programms:
- Verbesserung der Ausstattung von Schulen in herausfordernden Lagen
- Investitionen in Unterrichtsentwicklung (insbesondere in Deutsch und Mathematik)
- Aufbau multiprofessioneller Teams aus Schulsozialarbeiter*innen, Sonderpädagog*innen, Psycholog*innen, Integrationshelfer*innen, IT-Fachkräfte sowie außerschulischen Kooperationspartnern wie Sportvereine oder Jugendhilfeträger
Das Programm zielt explizit darauf ab, die Startbedingungen für Schülerinnen und Schüler von Schulen mit herausfordernden Rahmenbedingungen zu verbessern – damit Herkunft nicht mehr allein über Chancen entscheidet.
Warum strukturelle Veränderungen nötig bleiben
Programme wie das Startchancen-Programm sind ein wichtiger Anfang – doch sie lösen nicht alle Probleme. Entscheidend ist, dass sie von langfristigen Reformen begleitet werden, die über Schulen hinausgehen.
Zentrale Herausforderungen:
- Verstärktes Mentoring, Netzwerkarbeit und Alumni-Zugänge: Besonders für First-Generation-Studierende und Berufseinsteiger*innen sollte gezielt der Zugang zu Netzwerken erleichtert werden – durch Mentoringprogramme, Alumni-Netzwerke, gezielte Recruiting-Offensiven.
- Transparenz in Auswahlprozessen: Personal- und Auswahlprozesse (z. B. bei Praktika, Traineeships) sollten offener gestaltet werden, mit klaren Kriterien, um informelle Bevorzugungen abzubauen.
- Langfristige Begleitung über Bildungsphasen hinweg: Fördermaßnahmen sollten nicht nur punktuell wirken (z. B. in Schuljahren), sondern systematisch begleiten – von der Schule bis in den Beruf.
- Institutionelle Sensibilisierung für Klassismus & Diskriminierung: Organisationen und Unternehmen sollten (unbewusste) Vorurteile gegenüber sozialer Herkunft adressieren und Anreizstrukturen schaffen, um die Diversität der Zugänge zu verbessern.
- Monitoring und Evaluation: Die Programme wie Startchancen müssen fortlaufend evaluiert werden, um Wirkung zu messen, Schwachstellen zu identifizieren und nachzusteuern.
Nur wenn Politik, Bildungseinrichtungen und Arbeitgeber gemeinsam handeln, kann echte soziale Durchlässigkeit entstehen.
Handlungsempfehlungen für Bildungseinrichtungen und Unternehmen
- Mentoring-Programme etablieren: Kooperationen mit Initiativen wie ArbeiterKind.de oder FirstGen-Netzwerk fördern.
- Chancengleichheit in Recruiting-Prozessen sicherstellen – etwa durch anonyme Bewerbungen oder gezielte Outreach-Programme.
- Finanzielle Unterstützungssysteme für Praktika, Auslandserfahrungen oder Zusatzqualifikationen schaffen.
- Sensibilisierungstrainings zu sozialer Herkunft und Klassismus durchführen.
Diese Maßnahmen stärken Vielfalt – nicht nur aus moralischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Denn diverse Teams sind nachweislich innovativer, loyaler und erfolgreicher.
Herkunft darf kein Karrierehindernis sein
In Deutschland entscheidet die soziale Herkunft noch immer stark über Bildungs- und Karrierechancen. Sie beeinflusst, wer Zugang zu Ressourcen, Netzwerken und Unterstützungsstrukturen hat – und wer nicht. Programme wie das Startchancen-Programm sind ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Chancengleichheit – doch sie reichen nicht aus, solange strukturelle Barrieren bestehen. Sie müssen flankiert werden durch verstärkte institutionelle Reformen, Transparenz in Auswahlprozessen und eine konsequente Öffnung von Netzwerken.
Echte soziale Mobilität entsteht erst, wenn Bildung, Unternehmen und Gesellschaft gemeinsam Verantwortung übernehmen. Denn Talent ist überall – Chancen sind es nicht.
Vielfalt stärken – Chancen öffnen
Soziale Herkunft prägt Lebenswege – oft leise, aber nachhaltig. Wer Bildungsungleichheit abbauen und Chancengerechtigkeit fördern will, braucht nicht nur politische Programme, sondern auch ein Bewusstsein für soziale Dynamiken in Bildung, Arbeit und Gesellschaft.
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Beitragsbild: Shutterstock/BRKH-STUDIO

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